Der blaue Diamant 💎
Vor vielen, vielen Jahren heiratete ein junger Mann, wir wollen ihn Johannes nennen, Lucy, die Liebe seines Lebens. Das Glück der beiden schien vollkommen. Johannes hatte ein gutes, geregeltes Einkommen als Diamantenschleifer. Die Reinheit und Klarheit, mit der er den eben erst frisch geschürften Edelsteinen ihre Form und ihren Glanz verlieh, ihnen Leben einhauchte, war weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt, und die namhaftesten Edelsteinhändler rissen sich förmlich darum, ihre Diamanten aufgrund seiner qualitativ hochwertigen Arbeit von ihm zu beziehen.
Darüber hinaus liebte er seine junge, hübsche Frau aufrichtig, ja, er vergötterte sie geradezu, und auch Lucy liebte ihren Mann so heiß und innig, wie sie noch nie zuvor in ihrem jungen Leben einen Menschen geliebt hatte.
Sie war stolz auf ihren Mann, dass er einer der geachtetsten Diamantenschleifer ihres Landes war, doch hätte sie ihr Leben auch mit ihm geteilt, wenn er der ärmste Knecht gewesen wäre.
So sehr die Diamanten auch strahlten, die Johannes von ihrer unansehnlichen Kruste befreite und ihnen durch seine Polituren und den Schliff erst zu ihrem eigentlichen Glanz verhalf, konnten sie doch alle nicht so strahlen wie sein großes, gutes Herz und seine durch und durch rechtschaffene, edle Gesinnung.
Oft blickte Johannes seine junge Frau voller Wärme an, und seine Augen glitten über ihren wohlgeformten, schlanken, weißen Hals. "Ich möchte dir ein Schmuckstück schaffen, wie es die Welt noch nie gesehen hat,“ sagte er dann oft. „Das ist so lieb von dir,“ erwiderte Lucy dann warm. „Aber so außergewöhnlich muss es nicht sein, wenn ich nur weiß, dass es von dir kommt.“
Johannes nahm seine junge Frau in die Arme und drückte sie fest, ganz fest an sich. „Du bist meine Königin,“ sagte er innig. „Und deshalb muss es etwas ganz, ganz Besonderes sein. Nicht die Größe macht den Schatz aus, den ich dir schenken will, sondern die Qualität, die Farbe und die Reinheit. Doch noch habe ich den Edelstein nicht gefunden, der es wert wäre, von dir getragen zu werden.“
So vergingen einige Jahre.
Eines Abends aber, Johannes wollte gerade seine Werkstatt schließen, sah er noch einmal flüchtig die letzte Lieferung an Rohdiamanten durch, die soeben eingetroffen war.
Ein Klumpen erregte seine Aufmerksamkeit, und er griff danach.
Es war ein relativ großer und recht unansehnlicher Brocken, wohl mehr verkrustete Erde als eigentlicher Edelstein. Doch Johannes‘ geschultes Auge erkannte sofort, was sich unter dieser schmutzigen Schicht verbarg: Ein Edelstein von nie dagewesener Größe, und der schwache, bläuliche Ton, der durch den Erdklumpen schimmerte, ließ ihn erahnen, welch wertvollen Schatz er hier in Händen hielt, wenn er ihm erst einmal mit seinen erfahrenen Händen gereinigt, geschliffen und poliert, ihm Leben eingehaucht hatte.
„Dieser Diamant und kein anderer soll für Lucy sein,“ sprach er, während er den unansehnlichen Klumpen sorgfältig in ein Tuch wickelte und in seine Tasche steckte.
„Gefällt er dir?“ fragte Johannes an diesem Abend, als er nach Hause kam. Lucy wickelte das Tuch auf, dass ihr Mann ihr reichte und sah mit großen Augen auf das, was darin lag. Ein großer, unansehnlicher Klumpen, und dennoch erkannte auch sie mit geübtem Auge den unverkennbar bläulichen Schimmer, der sich versuchte, durch die dicke Erdkruste Bahn zu brechen. „Oh ja!“ sagte sie atemlos. „Wenn du ihn erst einmal bearbeitet hast, wird er wunderschön aussehen.“ „Er wird wunderschön aussehen an meiner wunderschönen, jungen Frau,“,sagte Johannes liebevoll, während er Lucy zärtlich auf die Stirn küsste. „Ich werde alle meine Liebe in diesen außergewöhnlichen Edelstein legen, und er soll ein Zeichen unserer ewigen Liebe, unserer Verbundenheit zueinander sein.“ „Wir werden immer und ewig miteinander verbunden sein,“ sagte Lucy zärtlich, während sie sich an ihren Mann schmiegte. „Aber wenn du mir diesen Diamanten schenkst, werde ich ihn jeden Tag tragen und nie wieder ablegen, denn ich weiß, dass du ihn mir mit Liebe gemacht hast.“
Das junge Paar war sich einig, doch Johannes eilte es nicht damit, diesen außergewöhnlichen, kostbaren Edelstein zu bearbeiten. Er war jung, Lucy war jung, sie beide hatten noch ihr ganzes Leben vor sich, und er würde diesen Diamanten mit einer ganz besonderen Gründlichkeit und Sorgfalt bearbeiten.
Tagsüber ging er nach wie vor seinem Handwerk nach und schliff und polierte und bearbeitete unendlich viele Diamanten und Edelsteine, die nicht nur unter den niederen Adeligen viel Anklang fanden, sondern die bis in die Fürstenhäuser vertrieben wurden, und nicht wenige Prinzessinnen und sogar Königinnen konnten sich rühmen, ein außergewöhnliches Schmuckstück des Meisters aller Diamsntenschleifer zu tragen.
Doch jeden Abend, wenn Johannes seine Werkstatt schloss und nach Hause kam, bearbeitete er in unendlicher Feinstarbeit den Diamanten, der die Krönung alles seines Schaffens werden sollte und der einzig und allein für eine Königin bestimmt war: Die Königin seines Herzens.
Der Edelstein jedoch entpuppte sich als so schwierig zu bearbeiten, wie Johannes es selten erlebt hatte: Die große, dicke, unförmige Schicht, von der er umgeben war, war besonders hartnäckig, und es dauerte bereits mehrere Wochen, bis Johannes sie vollständig gelöst hatte und der Diamant endlich in seiner ganzen Größe, wenn auch immer noch sehr unförmig, vor ihnen lag.
„Wie schön, wie wunderschön er ist,“ hauchte Lucy. „Du hast ihn noch nicht einmal bearbeitet, aber ich liebe ihn jetzt schon.“ „Er wird noch viel, viel schöner werden, wenn er erst einmal fertig ist,“ sagte Johannes. „Er wird für immer ein unzerstörbares Symbol unserer Liebe sein.“
Und Abend für Abend arbeitete er unermüdlich weiter an dem Diamanten, der, wenn auch nur sehr, sehr langsam, immer weiter Form annahm und in einem immer satteren Blau zu strahlen anfing.
Oft nahmen Johannes und Lucy den Diamanten gemeinsam in ihre Hände und schlossen ihn warm in ihre Handflächen ein, spürten die tiefe Bindung zueinander. Und es war ein so gutes Gefühl zu wissen, dass sie einander hatten und dass auch dieser ihnen so kostbar gewordene Edelstein im Laufe der Zeit genauso weiter gedeihen würde an Farbe, Form und Glanz, wie ihre Ehe.
Doch plötzlich schlug das Schicksal unbarmherzig zu. Lucy erkrankte schwer, wurde von Tag zu Tag schwäch, und schließlich lag sie blass und abgemagert auf ihrem Lager, dass Ihr Mann ihr fürsorglich gerichtet hatte, und konnte kaum mehr sprechen.
Johannes hielt ihre kalten Hände in den seinen und sah sie stumm an. Nein! Es konnte, es durfte einfach nicht sein, dass Lucy ihn nun verließ. Sie hatte geschworen, für immer bei ihm zu bleiben, ihm immer treu zur Seite zu stehen, und nun wollte sie ihn verlassen, von ihm gehen?
„Unser Diamant,“ hauchte Lucy. „Bitte, gib ihn mir.“
Mit Tränen in den Augen legte Johannes den Edelstein in ihre kalten Hände, schloss ihre Finger darum und legte seine warme Hand auf die ihre, wie sie es so viele Jahre schon gemacht hatten. „Wie schön er ist, wie schön er sich anfühlt,“ hauchte Lucy mit versagender Stimme. „Verlass mich nicht, Lucy,“ sagte Johannes mit bebender Stimme. „Unser blauer Diamant, das Symbol unserer Liebe, ist noch lange nicht fertig.“ Lucy nahm all ihre Kraft zusammen, die sie noch in ihrem sterbenden Körper hatte, und legte sie in ihre Stimme. „Du wirst ihn fertig machen,“ sagte sie ruhig, aber bestimmt. „Wenn ich auch sterbe, aber unsere Liebe wird niemals sterben. Ich werde immer bei dir sein, im Leben und auch im Tod. Vollende unseren Diamanten, mache ihn so vollkommen, wie unsere Liebe vollkommen ist. Er wird uns für immer miteinander verbinden.“
Nach dieser Rede; die sie so viel Kraft gekostet hatte, schloss sie erschöpft die Augen. „Lucy?“ Johannes sah sie fragend an, doch seine junge Frau reagierte nicht. „Lucy?“ Sanft schüttelte Johannes sie, doch seine Frau reagierte nicht mehr. Sie war für immer von ihm gegangen.
Nun brach eine schwere Zeit für Johannes an.
Lucy war sein ganzes Leben an seiner Seite gewesen, schon seit frühester Kindheit an. Erst als Spielgefährtin, später als gute Kameradin und Freundin, und schließlich als Ehefrau. Und nun war sie plötzlich nicht mehr da. Ihm war, als sei ein Teil von ihm mit ihr gestorben.
Johannes erkrankte schwer, und es dauerte lange, bis er soweit genesen war, dass er mit seiner Arbeit fortfahren konnte. Der Arbeit, der er wegen seines Broterwerbs nachging, und der Arbeit, die schon seit so langer Zeit das Herzstück seines Lebens geworden war: Die Vervollkommnung des blauen Diamanten.
Doch es fiel Johannes oftmals schwer, an diesem Diamanten weiterzuarbeiten, zumal er oft von der Arbeit nach Hause kam und dann in trübsinniges Brüten verfiel, nun, wo er alleine und seine Frau für immer von ihm gegangen war.
Dann wiederum gab es Tage, in der es Johannes kaum schnell genug gehen konnte, den letzten Willen seiner Frau zu erfüllen, die Arbeit an diesem Edelstein zu vollenden, und dann arbeitete er stundenlang wie ein Besessener, oft bis in die Nacht hinein, an seinem Werk.
Mit der Zeit schien der Edelstein ein merkwürdiges Eigenleben zu entwickeln:
Mehr als einmal erwies er sich als sehr hartnäckig, geradezu widerspenstig, und trotz aller Geduld und allen feinen Schliffs entdeckte Johannes immer wieder Ecken und Kanten, die er kaum zu bearbeiten vermochte aufgrund des harten Materials. Doch als Experte wusste er, dass es eben dieser Härtegrad des Diamanten war, der für dessen vorzügliche Qualität sprach, wenn seine Arbeit an ihm erst einmal vollendet war.
Jahre vergingen, und ein Schicksalsschlag schien dem nächsten zu folgen:
Eine Inflation kam in das Land, und Johannes konnte kaum mehr von seinem Beruf leben, da die Menschen ihr Geld nun in wichtigere Dinge ausgaben als feingeschliffene Diamanten.
Eines Abends fand Johannes sein Haus völlig verwüstet vor. Einbrecher hatten dort gewütet, während er ausgegangen war, und hatten alles durcheinandergeworfen und sämtliche Edelsteine, an denen er zur Zeit arbeitete, gestohlen. Sämtliche?
Bestürzt lief Johannes zu der Schublade, in der er den blauen Diamanten verwahrte, wenn er nicht daran arbeitete. Die Schublade war herausgerissen und zu dem anderen Mobiliar geworfen worden - sehr wahrscheinlich hatten die Einbrecher auch seinen blauen Diamanten entwendet.
Johannes war am Boden zerstört. So viele Jahre hatte er daran gearbeitet, hatte alle seine Liebe und Geduld in diese Arbeit gesteckt, Der blaue Diamant war das letzte, was seine geliebte Frau in Händen gehalten hatte, er war sozusagen Lucys einziges und letztes Vermächtnis. Und nun war er fort - gestohlen.
Mühselig räumte Johannes sein Haus wieder auf, und da er sich damit sehr viel Zeit ließ, dauerte es fast Wochen, bis er ih unter einem Berg an Brettern und allerlei kleinen Utensilien wieder fand. Die Einbrecher hatten wohl auf der Suche nach der großen Beute diesen einzigen Edelstein, der in ein unscheinbares Tuch gewickelt gewesen war, vollkommen übersehen.
Johannes´ Herz quoll über vor Freude, als er "seinen" blauen Diamanten endlich wieder in Händen hielt. Er hatte etwas Schaden genommen, aber nicht viel, und so beeilte er sich, ihn wieder mit allem Feingefühl und aller Geduld zu schleifen und zu polieren, um den Schaden, den der Edelstein genommen hatte, zu beheben.
Doch der nächste Schicksalsschlag ließ nicht lange auf sich warten. Eine Hitzewelle zog im Sommer über das Land, und sein Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Johannes selbst erlitt bei dem Brand so schwere Verletzungen, dass es Monate dauerte, bevor er aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte.
Nun lag sein Leben tatsächlich in Trümmern. Seine Gesundheit war stark angeschlagen, und der blaue Diamant, sein Lebenswerk, war für immer vernichtet.
Doch das Leben geht immer weiter, selbst dann, wenn man meint, es sei für immer zu Ende.
Eine neue Frau trat in sein Leben, Iris, und wenngleich es noch Jahre dauerte, bis Johannes es endlich schaffte, sein Herz so weit für Iris zu öffnen, dass er sich für immer ein Leben an ihrer Seite vorstellen konnte, so heirateten sie schließlich doch.
Johannes liebte Iris, wenngleich es eine andere Liebe war, als er sie für Lucy empfunden hatte. Diese Liebe war ruhiger, eher kameradschaftlich zu nennen, als die heiße, innige Liebe, die er für Lucy empfunden hatte. Dennoch war es ein reines, echtes Gefühl, dass er für Iris empfand, und auch Iris liebte ihren Mann aufrichtig mit ihrer guten, ehrlichen Art.
Sie kannte ihren Mann mittlerweile lange genug, dass sie wusste, dass er gelegentlich in schwermütiges Brüten verfiel. Johannes hatte ihr nie etwas verheimlicht, und so wusste sie, dass er immer noch um seine verstorbene Frau Lucy trauerte, die nun schon vor Jahren von ihm gegangen war. Sie wusste auch von dem blauen Diamanten, dem Zeichen der Verbundenheit zwischen ihrem Mann und seiner verstorbenen Frau, wusste, wie sehr er darunter litt, dass dieser Diamant, sein Lebenswerk, seit dem Hausbrand für immer verloren war.
"Hast du eigentlich jemals nach ihm gesucht?" fragte sie ihn eines Tages, als Johannes wieder schwermütig in seinem Sessel saß und vor sich hinstarrte. Verwirrt sah er sie an: "Wie? Nach dem blauen Diamanten?" Iris lächelte und klopfte ihm begütigend auf die Schulter. "Ist er nicht das, was dich am meisten beschäftigt?" "Doch, schon," murmelte Johannes. ."Aber wo soll blaue Diamant nun sein? Alles in dem Haus brannte lichterloh und wurde ein Opfer der Flammen. Alles, alles ist zerstört." "Aber dem Diamanten konnte das Feuer mit Sicherheit nichts anhaben," beharrte Iris. "Diamanten sind feuerfest. Das müsstest du doch eigentlich wissen, Liebster." Johannes sah sie ungläubig an. "Hast du denn jemals nach ihm gesucht?" wiederholte Iris ihre Frage. "Ich war nie mehr dort, seitdem das Haus komplett niedergebrannt ist," bekannte Johannes nun leise. "Mich schaudert es, wenn ich nur daran denke, wie es dort nun aussieht." Liebevoll legte Iris ihre Hand in die seine. "Dann lass uns zusammen hingehen," meinte sie ruhig. Vielleicht ist der blaue Diamant ja tatsächlich für immer verloren. Aber bevor wir nicht genau wissen, wie es an der Stelle nun aussieht, wo dein Haus abgebrannt ist, sollten wir, solltest du nicht aufgeben." "Was habe ich nur für eine wundervolle Frau," lächelte Johannes, während er dankbar ihre Hand drückte.
Wenn der Gang zu dem Ort, wo einst sein Haus gestanden hatte, auch schwer war - an Iris´ Seite fühlte er sich gewachsen, seiner zerstörten Vergangenheit gegenüberzutreten.
Tatsächlich war nicht mehr viel übrig geblieben von dem Ort, wo er einst glücklich mit seiner ersten Frau Lucy und später so viele Jahre alleine gelebt hatte.
Die meisten Trümmer waren beiseite geschafft worden; lediglich vereinzelt lagen noch einige schwere Steine der ehemaligen Grundmauer herum.
Fassungslos setzte sich Johannes auf einen der Steine, und Iris neben ihm. Um sie herum war nichts als eine große Fläche, auf der immer noch viel Asche herum lag.
Fast den ganzen Tag verbrachten Johannes und Iris hier: Nicht unbedingt, um den blauen Diamanten zu suchen - dies schien fast aussichtslos in all der Asche, die hier herum lag, Nein. Johannes erzählte viel von früher, von seinen Erinnerungen an dieses Haus, und Iris hörte ihm zu und respektierte auch sein Schweigen, wenn er in Gedanken versank.
Irgendwann gingen sie Hand in Hand über den Boden seines ehemaligen Hauses, der nun nur noch mit Schutt und Asche bedeckt war. "Der blaue Diamant" sagte Johannes nun leise und blieb stehen. "Er hat uns so viel bedeutet. Er war Lucys Vermächtnis." "Er war ihr Vermächtnis," sagte Iris leise. "Und glaube mir: Der blaue Diamant existiert immer noch - auch wenn wir ihn nicht finden können. Aber ein Diamant von dieser Qualität ist unzerstörbar. Unzerstörbar, wie eure Liebe zueinander . und unzerstörbar wie meine Liebe zu dir."
Da nahm Johannes Iris in die Arme. "Du bist seit Lucys Tod das Beste, was mir jemals passiert ist, und auch ich liebe dich. Ich liebe dich von ganzem Herzen, Iris."
Lange Zeit standen sie eng umschlungen da, Arm in Arm.
Selten hatten sie ein so tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl empfunden wie an diesem Ort.
Als sie sich endlich voneinander lästen und weitergehen wollten, weg von diesem Ort, von Johannes ´ Vergangenheit, da passierte es:
Mit gesenktem Kopf ging er durch die triste Asche des Bodens, weiter Iris´ Hand haltend, als er durch den ganzen Schutt etwas bläulich schimmern sah. Abrupt blieb er stehen und sah ungläubig auf die Stelle nieder: Dieses Schimmern, diesen Glanz kannte er nur zu gut. So hatte er einst vor vielen Jahren einen bläulichen Schimmer durch eine starke, dicke Erdkruste wahrgenommen. Johannes bückte sich und griff mitten in den Schutt hinein, um dieses Etwas aufzuheben. "Der blaue Diamant" sagten er und Iris ungläubig verblüfft aus einem Munde.
Rasch entfernte Johannes den gröbsten Schutt von dem Stein, um sich zu überzeugen, doch er hatte sich nicht geirrt. Er war es tatsächlich. Er hielt den blauen Diamanten, sein Lebenswerk, wieder in Händen!
Es dauerte Monate, bis Johannes endlich sein Werk vollendet hatte, doch gemessen an der Anzahl der Jahre, die er früher mit der Bearbeitung dieses einzigartigen Edelsteins verbracht hatte, war diese Zeit nur noch ein kurzer Moment. Das sorgfältige Entfernen des Schutt von dem Stein, das abermalige Polieren und Schleifen dieses außergewöhnlichen Diamanten, der immer noch hart, robust und von stabilem Material war, dessen harte Ecken und Kanten aber im Laufe der Jahre, die Johannes schon damit verbracht hatte, diese zu bearbeiten, wesentlich weicher und milder geworden waren und sich nun mühelos schleifen ließen - bis zur absoluten Vollkommenheit! 💎
Und nun liegt der Diamant in einer Glasvitrine und hat einen ganz besonderen Ehrenplatz.
Er ist von einem tiefen, tiefen Blau, blau wie das tiefste Meer, und dabei von einer Reinheit und Klarheit, dass man sich beim Betrachten darin verlieren kann. Sein Glanz zeugt von einer erstklassigen Qualität, die es wert wäre, von einer großen Königin getragen zu werden.
Und manchmal steht Johannes vor dieser Glasvitrine und sieht sinnend auf diesen Diamanten, ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht: Ja, er ist in der Tat für eine Königin geschaffen worden - seine Königin des Herzens, mit der er viele Jahre seines Lebens geteilt hatte. Er hatte die Aufgabe, die sie ihm gestellt hatte, bevor sie verschied, endlich zu Ende gebracht. Der blaue Diamant, das Zeichen der Verbundenheit ihrer Liebe, war nun genau so vollkommen wie diese reine Liebe zwischen ihm und Lucy. Lucy, die nun in der anderen Welt auf ihn wartete.
Und bis es so weit war, dass er sie einst wiedersehen- und lieben würde, so lange durfte er nun in dieser Welt seine Zeit mit seiner neuen Frau Iris teilen. Seine Zeit und seine Liebe.
Darüber hinaus liebte er seine junge, hübsche Frau aufrichtig, ja, er vergötterte sie geradezu, und auch Lucy liebte ihren Mann so heiß und innig, wie sie noch nie zuvor in ihrem jungen Leben einen Menschen geliebt hatte.
Sie war stolz auf ihren Mann, dass er einer der geachtetsten Diamantenschleifer ihres Landes war, doch hätte sie ihr Leben auch mit ihm geteilt, wenn er der ärmste Knecht gewesen wäre.
So sehr die Diamanten auch strahlten, die Johannes von ihrer unansehnlichen Kruste befreite und ihnen durch seine Polituren und den Schliff erst zu ihrem eigentlichen Glanz verhalf, konnten sie doch alle nicht so strahlen wie sein großes, gutes Herz und seine durch und durch rechtschaffene, edle Gesinnung.
Oft blickte Johannes seine junge Frau voller Wärme an, und seine Augen glitten über ihren wohlgeformten, schlanken, weißen Hals. "Ich möchte dir ein Schmuckstück schaffen, wie es die Welt noch nie gesehen hat,“ sagte er dann oft. „Das ist so lieb von dir,“ erwiderte Lucy dann warm. „Aber so außergewöhnlich muss es nicht sein, wenn ich nur weiß, dass es von dir kommt.“
Johannes nahm seine junge Frau in die Arme und drückte sie fest, ganz fest an sich. „Du bist meine Königin,“ sagte er innig. „Und deshalb muss es etwas ganz, ganz Besonderes sein. Nicht die Größe macht den Schatz aus, den ich dir schenken will, sondern die Qualität, die Farbe und die Reinheit. Doch noch habe ich den Edelstein nicht gefunden, der es wert wäre, von dir getragen zu werden.“
So vergingen einige Jahre.
Eines Abends aber, Johannes wollte gerade seine Werkstatt schließen, sah er noch einmal flüchtig die letzte Lieferung an Rohdiamanten durch, die soeben eingetroffen war.
Ein Klumpen erregte seine Aufmerksamkeit, und er griff danach.
Es war ein relativ großer und recht unansehnlicher Brocken, wohl mehr verkrustete Erde als eigentlicher Edelstein. Doch Johannes‘ geschultes Auge erkannte sofort, was sich unter dieser schmutzigen Schicht verbarg: Ein Edelstein von nie dagewesener Größe, und der schwache, bläuliche Ton, der durch den Erdklumpen schimmerte, ließ ihn erahnen, welch wertvollen Schatz er hier in Händen hielt, wenn er ihm erst einmal mit seinen erfahrenen Händen gereinigt, geschliffen und poliert, ihm Leben eingehaucht hatte.
„Dieser Diamant und kein anderer soll für Lucy sein,“ sprach er, während er den unansehnlichen Klumpen sorgfältig in ein Tuch wickelte und in seine Tasche steckte.
„Gefällt er dir?“ fragte Johannes an diesem Abend, als er nach Hause kam. Lucy wickelte das Tuch auf, dass ihr Mann ihr reichte und sah mit großen Augen auf das, was darin lag. Ein großer, unansehnlicher Klumpen, und dennoch erkannte auch sie mit geübtem Auge den unverkennbar bläulichen Schimmer, der sich versuchte, durch die dicke Erdkruste Bahn zu brechen. „Oh ja!“ sagte sie atemlos. „Wenn du ihn erst einmal bearbeitet hast, wird er wunderschön aussehen.“ „Er wird wunderschön aussehen an meiner wunderschönen, jungen Frau,“,sagte Johannes liebevoll, während er Lucy zärtlich auf die Stirn küsste. „Ich werde alle meine Liebe in diesen außergewöhnlichen Edelstein legen, und er soll ein Zeichen unserer ewigen Liebe, unserer Verbundenheit zueinander sein.“ „Wir werden immer und ewig miteinander verbunden sein,“ sagte Lucy zärtlich, während sie sich an ihren Mann schmiegte. „Aber wenn du mir diesen Diamanten schenkst, werde ich ihn jeden Tag tragen und nie wieder ablegen, denn ich weiß, dass du ihn mir mit Liebe gemacht hast.“
Das junge Paar war sich einig, doch Johannes eilte es nicht damit, diesen außergewöhnlichen, kostbaren Edelstein zu bearbeiten. Er war jung, Lucy war jung, sie beide hatten noch ihr ganzes Leben vor sich, und er würde diesen Diamanten mit einer ganz besonderen Gründlichkeit und Sorgfalt bearbeiten.
Tagsüber ging er nach wie vor seinem Handwerk nach und schliff und polierte und bearbeitete unendlich viele Diamanten und Edelsteine, die nicht nur unter den niederen Adeligen viel Anklang fanden, sondern die bis in die Fürstenhäuser vertrieben wurden, und nicht wenige Prinzessinnen und sogar Königinnen konnten sich rühmen, ein außergewöhnliches Schmuckstück des Meisters aller Diamsntenschleifer zu tragen.
Doch jeden Abend, wenn Johannes seine Werkstatt schloss und nach Hause kam, bearbeitete er in unendlicher Feinstarbeit den Diamanten, der die Krönung alles seines Schaffens werden sollte und der einzig und allein für eine Königin bestimmt war: Die Königin seines Herzens.
Der Edelstein jedoch entpuppte sich als so schwierig zu bearbeiten, wie Johannes es selten erlebt hatte: Die große, dicke, unförmige Schicht, von der er umgeben war, war besonders hartnäckig, und es dauerte bereits mehrere Wochen, bis Johannes sie vollständig gelöst hatte und der Diamant endlich in seiner ganzen Größe, wenn auch immer noch sehr unförmig, vor ihnen lag.
„Wie schön, wie wunderschön er ist,“ hauchte Lucy. „Du hast ihn noch nicht einmal bearbeitet, aber ich liebe ihn jetzt schon.“ „Er wird noch viel, viel schöner werden, wenn er erst einmal fertig ist,“ sagte Johannes. „Er wird für immer ein unzerstörbares Symbol unserer Liebe sein.“
Und Abend für Abend arbeitete er unermüdlich weiter an dem Diamanten, der, wenn auch nur sehr, sehr langsam, immer weiter Form annahm und in einem immer satteren Blau zu strahlen anfing.
Oft nahmen Johannes und Lucy den Diamanten gemeinsam in ihre Hände und schlossen ihn warm in ihre Handflächen ein, spürten die tiefe Bindung zueinander. Und es war ein so gutes Gefühl zu wissen, dass sie einander hatten und dass auch dieser ihnen so kostbar gewordene Edelstein im Laufe der Zeit genauso weiter gedeihen würde an Farbe, Form und Glanz, wie ihre Ehe.
Doch plötzlich schlug das Schicksal unbarmherzig zu. Lucy erkrankte schwer, wurde von Tag zu Tag schwäch, und schließlich lag sie blass und abgemagert auf ihrem Lager, dass Ihr Mann ihr fürsorglich gerichtet hatte, und konnte kaum mehr sprechen.
Johannes hielt ihre kalten Hände in den seinen und sah sie stumm an. Nein! Es konnte, es durfte einfach nicht sein, dass Lucy ihn nun verließ. Sie hatte geschworen, für immer bei ihm zu bleiben, ihm immer treu zur Seite zu stehen, und nun wollte sie ihn verlassen, von ihm gehen?
„Unser Diamant,“ hauchte Lucy. „Bitte, gib ihn mir.“
Mit Tränen in den Augen legte Johannes den Edelstein in ihre kalten Hände, schloss ihre Finger darum und legte seine warme Hand auf die ihre, wie sie es so viele Jahre schon gemacht hatten. „Wie schön er ist, wie schön er sich anfühlt,“ hauchte Lucy mit versagender Stimme. „Verlass mich nicht, Lucy,“ sagte Johannes mit bebender Stimme. „Unser blauer Diamant, das Symbol unserer Liebe, ist noch lange nicht fertig.“ Lucy nahm all ihre Kraft zusammen, die sie noch in ihrem sterbenden Körper hatte, und legte sie in ihre Stimme. „Du wirst ihn fertig machen,“ sagte sie ruhig, aber bestimmt. „Wenn ich auch sterbe, aber unsere Liebe wird niemals sterben. Ich werde immer bei dir sein, im Leben und auch im Tod. Vollende unseren Diamanten, mache ihn so vollkommen, wie unsere Liebe vollkommen ist. Er wird uns für immer miteinander verbinden.“
Nach dieser Rede; die sie so viel Kraft gekostet hatte, schloss sie erschöpft die Augen. „Lucy?“ Johannes sah sie fragend an, doch seine junge Frau reagierte nicht. „Lucy?“ Sanft schüttelte Johannes sie, doch seine Frau reagierte nicht mehr. Sie war für immer von ihm gegangen.
Nun brach eine schwere Zeit für Johannes an.
Lucy war sein ganzes Leben an seiner Seite gewesen, schon seit frühester Kindheit an. Erst als Spielgefährtin, später als gute Kameradin und Freundin, und schließlich als Ehefrau. Und nun war sie plötzlich nicht mehr da. Ihm war, als sei ein Teil von ihm mit ihr gestorben.
Johannes erkrankte schwer, und es dauerte lange, bis er soweit genesen war, dass er mit seiner Arbeit fortfahren konnte. Der Arbeit, der er wegen seines Broterwerbs nachging, und der Arbeit, die schon seit so langer Zeit das Herzstück seines Lebens geworden war: Die Vervollkommnung des blauen Diamanten.
Doch es fiel Johannes oftmals schwer, an diesem Diamanten weiterzuarbeiten, zumal er oft von der Arbeit nach Hause kam und dann in trübsinniges Brüten verfiel, nun, wo er alleine und seine Frau für immer von ihm gegangen war.
Dann wiederum gab es Tage, in der es Johannes kaum schnell genug gehen konnte, den letzten Willen seiner Frau zu erfüllen, die Arbeit an diesem Edelstein zu vollenden, und dann arbeitete er stundenlang wie ein Besessener, oft bis in die Nacht hinein, an seinem Werk.
Mit der Zeit schien der Edelstein ein merkwürdiges Eigenleben zu entwickeln:
Mehr als einmal erwies er sich als sehr hartnäckig, geradezu widerspenstig, und trotz aller Geduld und allen feinen Schliffs entdeckte Johannes immer wieder Ecken und Kanten, die er kaum zu bearbeiten vermochte aufgrund des harten Materials. Doch als Experte wusste er, dass es eben dieser Härtegrad des Diamanten war, der für dessen vorzügliche Qualität sprach, wenn seine Arbeit an ihm erst einmal vollendet war.
Jahre vergingen, und ein Schicksalsschlag schien dem nächsten zu folgen:
Eine Inflation kam in das Land, und Johannes konnte kaum mehr von seinem Beruf leben, da die Menschen ihr Geld nun in wichtigere Dinge ausgaben als feingeschliffene Diamanten.
Eines Abends fand Johannes sein Haus völlig verwüstet vor. Einbrecher hatten dort gewütet, während er ausgegangen war, und hatten alles durcheinandergeworfen und sämtliche Edelsteine, an denen er zur Zeit arbeitete, gestohlen. Sämtliche?
Bestürzt lief Johannes zu der Schublade, in der er den blauen Diamanten verwahrte, wenn er nicht daran arbeitete. Die Schublade war herausgerissen und zu dem anderen Mobiliar geworfen worden - sehr wahrscheinlich hatten die Einbrecher auch seinen blauen Diamanten entwendet.
Johannes war am Boden zerstört. So viele Jahre hatte er daran gearbeitet, hatte alle seine Liebe und Geduld in diese Arbeit gesteckt, Der blaue Diamant war das letzte, was seine geliebte Frau in Händen gehalten hatte, er war sozusagen Lucys einziges und letztes Vermächtnis. Und nun war er fort - gestohlen.
Mühselig räumte Johannes sein Haus wieder auf, und da er sich damit sehr viel Zeit ließ, dauerte es fast Wochen, bis er ih unter einem Berg an Brettern und allerlei kleinen Utensilien wieder fand. Die Einbrecher hatten wohl auf der Suche nach der großen Beute diesen einzigen Edelstein, der in ein unscheinbares Tuch gewickelt gewesen war, vollkommen übersehen.
Johannes´ Herz quoll über vor Freude, als er "seinen" blauen Diamanten endlich wieder in Händen hielt. Er hatte etwas Schaden genommen, aber nicht viel, und so beeilte er sich, ihn wieder mit allem Feingefühl und aller Geduld zu schleifen und zu polieren, um den Schaden, den der Edelstein genommen hatte, zu beheben.
Doch der nächste Schicksalsschlag ließ nicht lange auf sich warten. Eine Hitzewelle zog im Sommer über das Land, und sein Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Johannes selbst erlitt bei dem Brand so schwere Verletzungen, dass es Monate dauerte, bevor er aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte.
Nun lag sein Leben tatsächlich in Trümmern. Seine Gesundheit war stark angeschlagen, und der blaue Diamant, sein Lebenswerk, war für immer vernichtet.
Doch das Leben geht immer weiter, selbst dann, wenn man meint, es sei für immer zu Ende.
Eine neue Frau trat in sein Leben, Iris, und wenngleich es noch Jahre dauerte, bis Johannes es endlich schaffte, sein Herz so weit für Iris zu öffnen, dass er sich für immer ein Leben an ihrer Seite vorstellen konnte, so heirateten sie schließlich doch.
Johannes liebte Iris, wenngleich es eine andere Liebe war, als er sie für Lucy empfunden hatte. Diese Liebe war ruhiger, eher kameradschaftlich zu nennen, als die heiße, innige Liebe, die er für Lucy empfunden hatte. Dennoch war es ein reines, echtes Gefühl, dass er für Iris empfand, und auch Iris liebte ihren Mann aufrichtig mit ihrer guten, ehrlichen Art.
Sie kannte ihren Mann mittlerweile lange genug, dass sie wusste, dass er gelegentlich in schwermütiges Brüten verfiel. Johannes hatte ihr nie etwas verheimlicht, und so wusste sie, dass er immer noch um seine verstorbene Frau Lucy trauerte, die nun schon vor Jahren von ihm gegangen war. Sie wusste auch von dem blauen Diamanten, dem Zeichen der Verbundenheit zwischen ihrem Mann und seiner verstorbenen Frau, wusste, wie sehr er darunter litt, dass dieser Diamant, sein Lebenswerk, seit dem Hausbrand für immer verloren war.
"Hast du eigentlich jemals nach ihm gesucht?" fragte sie ihn eines Tages, als Johannes wieder schwermütig in seinem Sessel saß und vor sich hinstarrte. Verwirrt sah er sie an: "Wie? Nach dem blauen Diamanten?" Iris lächelte und klopfte ihm begütigend auf die Schulter. "Ist er nicht das, was dich am meisten beschäftigt?" "Doch, schon," murmelte Johannes. ."Aber wo soll blaue Diamant nun sein? Alles in dem Haus brannte lichterloh und wurde ein Opfer der Flammen. Alles, alles ist zerstört." "Aber dem Diamanten konnte das Feuer mit Sicherheit nichts anhaben," beharrte Iris. "Diamanten sind feuerfest. Das müsstest du doch eigentlich wissen, Liebster." Johannes sah sie ungläubig an. "Hast du denn jemals nach ihm gesucht?" wiederholte Iris ihre Frage. "Ich war nie mehr dort, seitdem das Haus komplett niedergebrannt ist," bekannte Johannes nun leise. "Mich schaudert es, wenn ich nur daran denke, wie es dort nun aussieht." Liebevoll legte Iris ihre Hand in die seine. "Dann lass uns zusammen hingehen," meinte sie ruhig. Vielleicht ist der blaue Diamant ja tatsächlich für immer verloren. Aber bevor wir nicht genau wissen, wie es an der Stelle nun aussieht, wo dein Haus abgebrannt ist, sollten wir, solltest du nicht aufgeben." "Was habe ich nur für eine wundervolle Frau," lächelte Johannes, während er dankbar ihre Hand drückte.
Wenn der Gang zu dem Ort, wo einst sein Haus gestanden hatte, auch schwer war - an Iris´ Seite fühlte er sich gewachsen, seiner zerstörten Vergangenheit gegenüberzutreten.
Tatsächlich war nicht mehr viel übrig geblieben von dem Ort, wo er einst glücklich mit seiner ersten Frau Lucy und später so viele Jahre alleine gelebt hatte.
Die meisten Trümmer waren beiseite geschafft worden; lediglich vereinzelt lagen noch einige schwere Steine der ehemaligen Grundmauer herum.
Fassungslos setzte sich Johannes auf einen der Steine, und Iris neben ihm. Um sie herum war nichts als eine große Fläche, auf der immer noch viel Asche herum lag.
Fast den ganzen Tag verbrachten Johannes und Iris hier: Nicht unbedingt, um den blauen Diamanten zu suchen - dies schien fast aussichtslos in all der Asche, die hier herum lag, Nein. Johannes erzählte viel von früher, von seinen Erinnerungen an dieses Haus, und Iris hörte ihm zu und respektierte auch sein Schweigen, wenn er in Gedanken versank.
Irgendwann gingen sie Hand in Hand über den Boden seines ehemaligen Hauses, der nun nur noch mit Schutt und Asche bedeckt war. "Der blaue Diamant" sagte Johannes nun leise und blieb stehen. "Er hat uns so viel bedeutet. Er war Lucys Vermächtnis." "Er war ihr Vermächtnis," sagte Iris leise. "Und glaube mir: Der blaue Diamant existiert immer noch - auch wenn wir ihn nicht finden können. Aber ein Diamant von dieser Qualität ist unzerstörbar. Unzerstörbar, wie eure Liebe zueinander . und unzerstörbar wie meine Liebe zu dir."
Da nahm Johannes Iris in die Arme. "Du bist seit Lucys Tod das Beste, was mir jemals passiert ist, und auch ich liebe dich. Ich liebe dich von ganzem Herzen, Iris."
Lange Zeit standen sie eng umschlungen da, Arm in Arm.
Selten hatten sie ein so tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl empfunden wie an diesem Ort.
Als sie sich endlich voneinander lästen und weitergehen wollten, weg von diesem Ort, von Johannes ´ Vergangenheit, da passierte es:
Mit gesenktem Kopf ging er durch die triste Asche des Bodens, weiter Iris´ Hand haltend, als er durch den ganzen Schutt etwas bläulich schimmern sah. Abrupt blieb er stehen und sah ungläubig auf die Stelle nieder: Dieses Schimmern, diesen Glanz kannte er nur zu gut. So hatte er einst vor vielen Jahren einen bläulichen Schimmer durch eine starke, dicke Erdkruste wahrgenommen. Johannes bückte sich und griff mitten in den Schutt hinein, um dieses Etwas aufzuheben. "Der blaue Diamant" sagten er und Iris ungläubig verblüfft aus einem Munde.
Rasch entfernte Johannes den gröbsten Schutt von dem Stein, um sich zu überzeugen, doch er hatte sich nicht geirrt. Er war es tatsächlich. Er hielt den blauen Diamanten, sein Lebenswerk, wieder in Händen!
Es dauerte Monate, bis Johannes endlich sein Werk vollendet hatte, doch gemessen an der Anzahl der Jahre, die er früher mit der Bearbeitung dieses einzigartigen Edelsteins verbracht hatte, war diese Zeit nur noch ein kurzer Moment. Das sorgfältige Entfernen des Schutt von dem Stein, das abermalige Polieren und Schleifen dieses außergewöhnlichen Diamanten, der immer noch hart, robust und von stabilem Material war, dessen harte Ecken und Kanten aber im Laufe der Jahre, die Johannes schon damit verbracht hatte, diese zu bearbeiten, wesentlich weicher und milder geworden waren und sich nun mühelos schleifen ließen - bis zur absoluten Vollkommenheit! 💎
Und nun liegt der Diamant in einer Glasvitrine und hat einen ganz besonderen Ehrenplatz.
Er ist von einem tiefen, tiefen Blau, blau wie das tiefste Meer, und dabei von einer Reinheit und Klarheit, dass man sich beim Betrachten darin verlieren kann. Sein Glanz zeugt von einer erstklassigen Qualität, die es wert wäre, von einer großen Königin getragen zu werden.
Und manchmal steht Johannes vor dieser Glasvitrine und sieht sinnend auf diesen Diamanten, ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht: Ja, er ist in der Tat für eine Königin geschaffen worden - seine Königin des Herzens, mit der er viele Jahre seines Lebens geteilt hatte. Er hatte die Aufgabe, die sie ihm gestellt hatte, bevor sie verschied, endlich zu Ende gebracht. Der blaue Diamant, das Zeichen der Verbundenheit ihrer Liebe, war nun genau so vollkommen wie diese reine Liebe zwischen ihm und Lucy. Lucy, die nun in der anderen Welt auf ihn wartete.
Und bis es so weit war, dass er sie einst wiedersehen- und lieben würde, so lange durfte er nun in dieser Welt seine Zeit mit seiner neuen Frau Iris teilen. Seine Zeit und seine Liebe.